Offener Brief an die Parteivorsitzenden zur Bundestagswahl

Vor den anstehenden Wahlen hat sich der ISOC.DE-Vorstand mit einem offenen Brief an die Vorsitzenden der demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag gewandt. Darin werden wichtige netzpolitische Voraussetzungen und Forderungen für ein offenes, freies und sicheres Internet adressiert. Hier der Brief im Wortlaut:
seit mehr als 30 Jahren setzt sich die Internet Society weltweit für ein offenes, sicheres Internet als eine für alle verfügbare Plattform der Kommunikation und Information ein. Anlässlich der bevorstehenden vorgezogenen Neuwahlen des Deutschen Bundestags möchte ISOC.DE auf diesem Wege daran erinnern, dass keines der oben genannten Attribute eine Selbstverständlichkeit ist, sondern sowohl in Ihrem Wahlprogramm, als auch in einem künftigen Koalitionsvertrag die richtigen Weichen für ein offenes, sicheres und freies Internet gestellt werden müssen. Denn Ihre Richtungsentscheidungen für die kommende Legislaturperiode werden maßgeblich darüber mitbestimmen, ob Deutschland und die EU ihre Rolle als starker Akteur in einer global vernetzten Welt ausbauen können oder durch Überregulierung oder isolationistische Maßnahmen ins Hintertreffen geraten. Angesichts des bevorstehenden Beschlusses Ihres Wahl- und Regierungsprogramms möchten wir Ihnen daher im Folgenden einige unserer zentralen Anliegen darlegen:

1. Erhalt starker Verschlüsselung und Verzicht auf Chatkontrollen

Wirksame Verschlüsselung ist ein fundamentaler Pfeiler digitaler Sicherheit und des Datenschutzes sei es für die private Kommunikation der Bürger, die Vertraulichkeit sensibler Daten von Unternehmen oder die Sicherung kritischer Infrastrukturen.. Denn auch vermeintlich freiwilliges Client-Side Scanning, das im Rahmen der Chatkontrolle eingesetzt werden soll, untergräbt die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und öffnet Tür und Tor für Überwachung und Zensur. ISOC.DE lehnt diese Technologie entschieden ab und fordert Sie auf, sich für den Erhalt starker Verschlüsselung und gegen die Einführung von Chatkontrollen einzusetzen.

2. Konsequente und sachgerechte Umsetzung der NIS2-Richtlinie

Die NIS2-Richtlinie der EU ist ein wichtiger Schritt, um die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen zu stärken. Deren Umsetzung in nationales Recht sollte jedoch auf fundiertem technischem Know-how, sachlicher Abwägung und Verhältnismäßigkeit basieren. Neue Vorschriften dürfen weder Innovationen behindern noch kleinere und mittlere Unternehmen unverhältnismäßig belasten. Statt pauschaler Vorgaben brauchen wir einen intensiven Austausch mit der technischen Community, um sicherzustellen, dass angestrebte Verbesserungen tatsächlich erreicht werden und nicht zu unbeabsichtigten Nebenwirkungen führen.

3. Ablehnung der Fair-Share-Initiative der EU und bedachtere Regulierung

Die sogenannte Fair-Share-Initiative, die große Internetunternehmen an Kosten der Telekommunikationsunternehmen für den Netzausbau beteiligen will, gefährdet die Offenheit und Neutralität des Internets. Langfristig kann sie zu Monopolisierungstendenzen, höheren Verbraucherpreisen und weniger Innovation führen. Wir appellieren an Sie, im Europäischen Rat zunächst bestehende Regulierungen sorgfältig zu evaluieren und faktenbasiert zu handeln, bevor zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden.

4. Keine Kriminalisierung des freien Informationsaustauschs, keine Fragmentierung des Internets

Ein ungehinderter Informationsfluss ist die Grundlage für Innovation, Bildung und eine lebendige demokratische Debattenkultur. Regelungen, die den freien Austausch von Wissen und Inhalten kriminalisieren oder unverhältnismäßig einschränken, dürfen nicht zum Instrument politischer Steuerung werden. Gesetzliche Rahmenbedingungen sollten die kreative Entfaltung, eine offene Wissensgesellschaft und den fairen, rechtmäßigen Umgang mit digitalen Inhalten fördern. Das Internet lebt von seiner globalen Interoperabilität. Nationale Sonderwege, abgeschottete Netze und proprietäre Standards untergraben diese Grundprinzipien. Nur ein offenes, weltweit vernetztes Internet, dessen technische Grundlagen in Gremien wie IETF, ICANN oder W3C unter Einbezug aller relevanten Akteure weiterentwickelt werden, kann langfristig Sicherheit, Innovation und globale Teilhabe garantieren.

5. Stärkung des Multistakeholderansatzes und Einbeziehung technischer Experten

Nachhaltige Netzpolitik erfordert einen breiten Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der technischen Community. Entscheidungen sollten nicht allein von politischen oder rechtlichen Erwägungen geleitet sein, sondern ebenso die Perspektive von Technikexperten, insbesondere denen, die die planerische und operative Verantwortung für den sicheren Betrieb der Kerninfrastruktur des Netzes haben, einbeziehen. Nur auf dieser Grundlage können praktikable, sichere und zukunftsfähige politische Rahmenbedingungen entstehen. Wir erinnern dazu an die Resolution des Deutschen Bundestages vom [ergänzen]. Für das Jahr 2025 ist es notwendig, im Rahmen des WSIS+20-Prozesses die Weichen für eine Verlängerung und Verdauerung der Mandats des Internet Governance Forums voranzutreiben.

Warum das jetzt zählt

In der kommenden Legislaturperiode wird sich entscheiden, ob Deutschland seine digitale Souveränität stärkt und zu einem Vorreiter für Offenheit, Sicherheit und internationale Anschlussfähigkeit im digitalen Raum wird. Die notwendige Balance zwischen Schutzbedürfnissen, unternehmerischer Innovationskraft, technischer Machbarkeit und gesellschaftlicher Teilhabe ist anspruchsvoll, aber realisierbar. Mit zukunftsgerechten Rahmenbedingungen können Sie den Grundstein für ein stabiles, sicheres und offenes digitales Ökosystem legen, von dem alle profitieren.

ISOC.DE und seine Mitglieder stehen Ihnen natürlich auch in der kommenden Legislaturperiode wieder als Gesprächspartner, Experten und Vermittler zur Verfügung. Unser breit gefächertes Netzwerk aus technischen Fachleuten, Wissenschaftlern, Vertretern der Internetwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Akteuren unterstützt Sie gern dabei, gut begründete und langfristig tragfähige Entscheidungen für ein offenes, sicheres und freies Internet zu treffen. Für weiterführende Gespräche, Fachgespräche oder Workshops stehen wir jederzeit bereit.

Mit freundlichen Grüßen

ISOC.DE e.V. – Deutsche Sektion der Internet Society Der Vorstand: Hans Peter Dittler, Stefan Fischer, Peter Koch, Jan Mönikes

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